15. Neckar-Open in Deizisau 2011

Ein Gruppenfoto zur Erinnerung an ein besonderes Turnier...

 

SSB-Präsident Thomas Kofler

 

Stefano Bonagura

 

Jonas Fox

 

Noah Neumair

 

Joans Piela

 

Andre Spornberger

 

Alexander Teutsch

 

Alle Bilder: S. Bonagura

 

 

 

"Ich wäre lange sierig gewesen... "

Ein Rückblick mit FM Patrick Scharrer

 

 

Der Bozner FIDE-Schachmeister Patrick Scharrer hat sich nach zuletzt mäßigen Turnierresultaten eindrucksvoll in die internationale Schacharena zurückgemeldet. Beim 15. Open in Deizisau schaffte er eine IM-Norm, an die er zuvor selber keinen Gedanken verschwendet hätte. Auf der Ziellinie musste er aber seinen Gegner und aufkommende Emotionen bekämpfen...

 

 

   Wenn zur Osterzeit Hunderte Schachfreunde nichts besseres zu tun haben als Schach zu spielen, dann haben die Schachfreunde Deizisau in der Nähe von Stuttgart zur Teilnahme an ihrem Schachopen eingeladen. Eindrucksvoller hätten die Zahlen dieses Turniers, das seit anderthalb Jahrzehnten im deutschen Terminkalender steht, kaum sein können: Mehr als 700 Spieler  beschäftigten sich  gegenseitig mit Varianten, Strategien und Taktik, stundenlang überzeugt von der Meinung, besser als der gegenüber Sitzende zu sein.  Dazu gab es die Möglichkeit, am üppigen Preisgeldkuchen statt am Osternest zu naschen. Das wiederum lockte ein knappes Hundert Titelträger beiderlei Geschlechts an. Und von besonderer Klasse: Noch vor dem letzten Jahreswechsel erhielt Turnierdirektor Sven Noppes die Bestätigung, dass der französische Weltstars Etienne Bacrot teilnehmen würde. Das Neckar-Open von Deizisau blüht...

 

 

FM Patrick Scharrer

 

 

 

   Waren es zuletzt die Südtiroler Nachwuchsstars aus Grieser und Kalterer Clubhäusern, die sich mit dem Flair dieses Opens vertraut machten und durch gute Ergebnisse den Bekanntheitsgrad dieses Turniers in unser Land brachten, so zog es zur diesjährigen Auflage gleich ein Dutzend Südtiroler Denksportler aus Meran, Kaltern, Bozen und Brixen zum mittlerweile größten Schach-Event im mitteleuropäischen Raum. Kurz vor Turnierstart erreichte mich die Nachricht, dass mit Patrick Scharrer auch einer der unsrigen FM's an den Start gehen würde. Jetzt schlägt's dreizehn...

 

  Auf der Internetseite des Veranstalters erfährt man einiges über die Entwicklung dieses Turniers. Die stattliche Anzahl der Titelträger, die diese Veranstaltung Jahr für Jahr aufsuchen, steigt, und damit auch die Anzahl der erzielten GM- und IM-Normen. Allein seit 2005 wurden 56 Normen bestätigt. Seit einigen Tagen ist die Normen-Liste um zehn weitere Einträge reicher. Und ganz aktuell ist auch der Name des Bozner Schachmeisters Patrick Scharrer aufgeführt. Der bald 24-Jährige FIDE-Meister  hat hier einen weiteren Meilenstein in seiner noch jungen schachlichen Laufbahn gesetzt.

 

   Kondition und Nervenstärke sind bei dieser Veranstaltung gefragt: Neun Runden in fünf Tagen bei einer maximalen Bedenkzeit von fünf Stunden pro Partie (zwei Stunden für 40 Züge plus 30 Minuten für den Rest) machen das Unterfangen "König mattsetzen" von Runde zu Runde zu einem Spießrutenlauf. Da bleibt auch keine Zeit, sich zwischen der Vor- und der Nachmittagsrunde gezielt auf den nächsten Gegner vorzubereiten. Turnierfavorit Bacrot bewegte sich auf scheinbar ungewohntem Terrain: Er blieb mit sechs Punkten weit unter seiner Erwartung und muss jetzt um den Verbleib in der elitären 2.700er-Klasse bangen. Ein solche Brettpunktezahl hätte hingegen ein Gros anderer Spieler in einer Jubelpose erstarren lassen.

 

   Das Geschehen auf den ersten acht Brettern wurde den Schachfans in aller Welt via Datenleitung live ins Haus geliefert. So konnte ich am ersten Spieltag die Bemühungen  des Grieser Anwärters auf den Meistertitel, Max Spornberger, gegen GM Aalon Greenfeld (Elo 2571) eine gute Figur zu machen, gespannt mitverfolgen. Am zweiten Tag interessierte mich das Geschehen nicht viel weniger: Am Morgen bezwang Scharrer mit den schwarzen Steinen IM Zeller (2419) und remisierte am Abend gegen IM Thinius (2379). Womit er sich am Ende von Tag zwei zwar nicht ganz oben im Spitzenfeld, aber immerhin in der 2,5-Punktgruppe und in bester Gesellschaft befand. Die Höhenluft fand am Morgen des dritten Turniertags durch IM Lammers (2405) ein vorübergehendes Ende, doch am selben Tag musste der tschechische IM Petr (2499) den eigenen König als Zeichen der Aufgabe umlegen. Rein rechnerisch hatte Scharrer dadurch eine Leistung von 2473 Punkten zu Buche stehen - der Bozner FIDE-Meister befand sich auf dem Weg zur IM-Norm!

 

   Der vierte Spieltag wartete für Scharrer mit einem unerwarteten Dämpfer auf: Er musste gegen FM Schramm (2340) nach 20 Zügen die Waffen strecken! Zwar hielt er sich noch am selben Tag gegen seinen Titelkollegen Lötscher (2378) schadlos, der Unterschied der fehlenden sechs Prozentpunkte ließ seine Performance aber unter die erforderliche Grenze absacken. Patrick wollte zunächst gar nicht wahrhaben, dass er nach all den (elo-)starken Gegner einen vergleichsweise geringen Durchschnitt auf die Waage brachte. Das Problem war sein Erstrundengegner, der "nur" 1919 Elopunkte mit in die Durchschnittsrechnung brachte.

 

   Am Abend vor der Entscheidung begann das Rechnen. In einem Chatforum fragt er mich: "Was muss ich machen, wenn meine Gegner morgen im Durchschnitt 2380 Elo haben?" Die Rechnung mit dem Taschenrechner in der einen und einem Blatt Papier in der anderen Hand war für mich relativ einfach,  das Endergebnis allerdings wenig erbaulich: "In diesem Fall musst du mindestens anderthalb Punkte machen... ", erklärte ich ihm. "Hmm... Nicht so einfach", konnte ich als Antwort am Bildschirm lesen. "Du schaffst das!", schrieb ich zurück.

 

   Allerdings war sein achter Turniergegner, FM Michalczak (2332) nicht das erhoffte Elo-Schwergewicht, ging aber noch in Ordnung. Vor allem, da er dessen weißen Monarchen zur Kapitulation brachte und so Teil eins, den vorerst wichtigsten Akt des Unternehmens IM-Norm, erfüllte...

  

   Sein letzter Gegner, FM Sipila (2347) vergrößerte den Elo-Durchschnitt in der Scharrer-Tabelle auch nicht wirklich; es war aber genug, dass dem Bozner ein Remis reichen würde. Das hat ihm ein Schiedsrichter unmittelbar vor der Partie bestätigt.

 

   Der junge Spieler aus Finnland war im Südtiroler Lager kein Unbekannter, war er doch in der fünften Runde Gegner von Stefano Bonagura. Mit den schwarzen Steinen spielend präsentierte er dem Meraner seine eigene Auffassung von Schachtheorie: 1.g3 a5?! 2.Lg2 a4?! Ja, Sie haben es schon richtig verstanden: Hier spielte mit den schwarzen Steinen ein FIDE-Meister! Und er fand in Bonagura "seinen" Meister: Cafèhausschach der untersten Schublade...

  

   Ausnahmsweise spielte er dann gegen Scharrer richtiges Schach. Und eine Partie, in der es für ihn um nichts mehr ging. Allerdings entpuppte sich seine sture Haltung für Scharrer und das anwesende Südtiroler Schachvolk beinahe zum Spielverderber . Nach dem Handschlag, der das Remis  unter Dach und Fach brachte, fiel ihm ein großer Stein und eine Tonnen schwere Last vom Herzen. Scharrer konnte sich in diesem Moment über ein besonderes Glücksgefühl  freuen: Seine IM-Norm, seine erste, die dritte für einen Südtiroler, kam zwar unerwartet, war aber erfreuliche Realität." Es war eine Nervenschlacht...", meinte der Bozner nach der Partie sichtlich erleichtert. Nach viereinhalb Stunden, in denen Scharrer den Gegner und Emotionen für eine Punktteilung überwand, obwohl man mit dem Tag auch noch etwas anderes hätte anfangen können...

 

 

 

Frage: Von deinem Vater habe ich erfahren, dass es in der letzten Partie gegen FM Sipile nochmals ganz spannend wurde. Wie ist sie denn aus deiner Sicht verlaufen?

Patrick Scharrer: Die letzte Partie war eine Nervenschlacht. Ich kam zehn Minuten zu spät zur Partie, da ich mich beim Schiedsrichter erkundigte, welches Ergebnis ich für die Norm benötige. Als ich es wusste ging ich zum Brett und bot meinem Gegner das Remis an. Statt zu antworten spielte er nach meinen Zug mit dem Königsbauern 1. ...e5. Wir spielten eine Variante, die ich gut kannte; so hatte ich bald eine gewonnene Stellung. Plötzlich fing ich an Geister zu sehen. Ich wollte die Stellung absichern, weil beim Schach schnell etwas passieren kann... Deshalb bot ich erneut die Punktteilung an. Da fing er an zu lachen. Die Zuschauer neben mir schmunzelten, da ich eine Dame für zwei Leichtfiguren hatte. Er fragte mich, warum ich denn bei diesem Vorteil ein Remis wolle. Ich sagte ihm, dass mir ein Remis genüge, um eine Norm zu erfüllen. Da lachte er wieder und rief laut: "Noooo, let's play!" Psychologisch war das schlecht für mich: Die Partie begann emotional zu werden und es häuften sich Komplikationen. Mit weniger Zeit erreichten wir ein Endspiel Dame und Bauer gegen Turm, Läufer und zwei Bauern. Er manövrierte so lange, bis ich nur noch fünf Minuten Bedenkzeit hatte. Ich dachte schon daran den Schiedsrichter zu holen, da er auf Zeit spielte.

 

Wie konntest du den halben Punkt retten?

P. S.: Es standen sehr viele Leute um uns herum, da am Brett daneben ein Endspiel mit zwei Springern und Bauern gegen Dame entstanden ist. Mein Gegner änderte seine Pläne. Er musste die Bauern schieben. Da er noch 30 Minuten auf der Uhr hatte blitzte er mit mir und hoffte, dass ich einen Fehler machen würde, da ich nur noch zwei Minuten hatte. Dann übersah er einen taktischen Gegenschlag. So konnte ich in ein Endspiel übergehen mit Dame gegen Turm und zwei Bauern, wo ich viel leichter Dauerschach geben kann! Ich dachte die ganze Zeit, dass ich verliere, weil mir die Zeit ausgegangen wäre, ohne dass ich was tun konnte... Ich war danach sehr erleichtert. Hätte ich diese Partie unter diesen Umständen verloren, wäre ich lange "sierig" gewesen...

 

Das kann man sich gut vorstellen. Sipila hat in der fünften Runde schon gegen Bonagura verloren. In wieweit war das für dich ein Vorteil?

P. S.: Da ich wusste dass er gegen Bonagura im ersten Zug ...a5 spielte, dachte ich schon dass er ein komischer Spieler ist, aber dass er in verlorener Stellung das Remis ablehnt um mir zu schaden, das hätte ich nie erwartet.

 

Wann war dir eigentlich bewusst, dass du bei diesem Turnier um mehr spielen kannst, sprich um eine IM-Norm, als nur für ein gutes Ergebnis?

P. S.: Ich habe ehrlich gesagt nie wirklich nachgedacht und erwartet dass ich bei diesem Turnier eine Norm machen kann, aber nachdem ich den letzten IM mit 2499 Elo geschlagen hab, konnte ich anfangen über eine Norm nachzudenken.

 

Frage: ...dann kam allerdings die Niederlage gegen FM Schramm dazwischen..

P. S.: Das war klar ein Schlag, denn ich hätte die Partie gleich ausgleichen können. Ich hab mich aber trotzdem für eine riskantere Variante entschieden, da ich gut in Form war. Die Partie war dann nach 20 Zügen schon verloren. Dann hab ich wieder ohne Druck gespielt und gegen den nächsten Gegner in der Zeitnotphase einen dramatischen Sieg geholt.

 

Am Sonntag Abend habe ich dir ausgerechnet, dass du mindestens noch 1,5 Punkte erreichen musst für die Norm. Woher hast du denn die Kraft genommen, nach sieben Partien in vier Tagen diesem Druck stand zuhalten?

P. S.: Auch wenn ich gut in Form war habe ich nicht dran glauben können noch 1,5 Punkte zu erreichen, da am Ende des Turniers meistens mehr Ungenauigkeiten gemacht werden und ich am Morgen einen FIDE-Meister besiegen musste, der in diesem Turnier nur gegen die besten Spieler verloren hatte. Vielleicht war es das reichhaltige deutsche Frühstück, haha... Es kam so dass ich fitt war und ich die Ungenauigkeiten  mit einer hübschen Taktik bestrafen konnte.

 

Hast du schon weitere Turnierpläne?

P. S.: Da ich jetzt frisch und neu motiviert bin werde ich einmal den Turnierkalender genauer unter die Lupe nehmen, aber vielleicht spiele ich in Bozen wieder mit, auch wenn ich dort keine Norm machen kann...